Sammelalbum
|
Aus "Popfoto"
SAILOR: Betrogen! Ausgebeutet! Pleite!
Seit "Stiletto Heels" und ihrer letzten Deutschlandtour im November 76 herrscht Schweigen um SAILOR. Um so überraschender kam dann die Meldung vom Ausstieg des Nickelodeon-Manns Phil Pickett. Was ist bei der Gruppe geschehen? POPFOTO traf SAILOR in London und erfuhr eine haarsträubende Geschichte.
Im CBS-Studio in der
Londoner Whitfield Street sind die Türen seit Wochen für alle
Außenstehenden hermetisch verschlossen. Dort, im Herzen von
Soho, arbeiten SAILOR an ihrer vierten LP. Doch dass sie derzeit
weder Fans noch Reporter sehen wollen, liegt nicht allein an den
Plattenaufnahmen.
"Über uns sind in den letzten Monaten so viele Schocks
hereingebrochen, dass wir selbst noch nicht damit fertig geworden
sind", berichtet Henry Marsh in einer Aufnahmepause.
"Deshalb fällt es uns schwer, heute schon offen über alles
zu sprechen. Wir haben die größte Krise unserer Karriere erlebt
- und noch ist sie nicht vorbei!"
Was ist geschehen? Henry: "Im letzten Herbst ging es uns
großartig. Wir hatten drei Hits und sehr erfolgreiche Tourneen
durch Europa und die USA hinter uns. Wir glaubten fest, dass wir
es jetzt geschafft hatten. In Hochstimmung begannen wir im Januar
mit den Proben für die nächste LP. Da gab es plötzlich Krach
mit unseren Managern Robert Wace (zuvor Kinks) und Steve O'Rourke
(Ex-Pink Floyd)."
"Es hatte zwischen uns und ihnen schon einige Zeit
gekriselt. Aber noch nie war es so stark wie diesmal. Wir
fühlten uns von ihnen ausgenutzt und ausgebeutet." Henry
stockt: "Ich möchte nicht näher auf alle Probleme mit
ihnen eingehen. Die Gründe sind zu kompliziert und auch
schrecklich langweilig. Jedenfalls hatten wir endlich genug von
ihnen und kündigten ihre Verträge."
Das aber hatte schwerwiegende Folgen. Denn so schnell ließen
sich die Manager nicht von ihrer Haupteinnahmequelle SAILOR
trennen. Henry: "Sie sperrten im Gegenzug blitzartig unsere
sämtlichen Finanzen. Von einem Tag auf den anderen hatten wir
plötzlich kein Geld mehr. Und so reich, dass uns das nichts
ausmacht, ist keiner von SAILOR. An unseren Hits haben in erster
Linie unsere alten Manager verdient. Georg, Grant und ich fahren
nur Gebrauchtwagen, und auf unseren Häusern liegen noch
Hypotheken."
Phil Pickett traf die Finanz-Sperre besonders hart. "Phil
lebt in Cornwall (Südwestengland) und hatte plötzlich nicht mal
genug Geld, um mit dem Zug nach London zu kommen", erklärt
Henry. "Da drehte er total durch. Mit SAILOR sei es aus,
meinte er. Egal, welches Unglück uns hätte zustoßen können -
nie hätte ich es für möglich gehalten, dass Phil bei uns
aussteigt. Aber er wollte einfach nicht mehr. Wir versuchten
alles, um Phil zu halten - aber umsonst. Phil ging."
"Für mich war das der schwerste Schlag in meinem Leben. Wir
haben uns musikalisch am Nickelodeon so blendend ergänzt!"
Dass Phil irgendwann doch zu SAILOR zurückkehrt, glaubt Henry
trotz aller Hoffnung nicht: "Wir versuchen zwar immer noch,
Phil zur Rückkehr zu überreden. Aber er schreibt so
phänomenale Songs, dass ihm bestimmt eine glänzende
Solokarriere bevorsteht. CBS hat ihn bereits als Komponist unter
Vertrag."
Pleite und ohne Phil saßen SAILOR nun da - aber das war noch
lange nicht das Ende ihrer Unglücksserie. Henry: "Wir
hatten einen australischen Roadie, der natürlich kein Gehalt
mehr bekam. Also verkaufte dieser Schuft unsere ganze
Verstärkeranlage, die wir noch nicht einmal fertig abbezahlt
hatten. Mit dem Geld ist er sofort nach Australien verduftet. Als
wir das erfuhren, glaubten wir tatsächlich, dass nun das Ende
von SAILOR gekommen sei. Wir hatten alle Illusionen
verloren."
Dass SAILOR trotzdem noch existiert, liegt an zwei Dingen:
"Einmal hat uns unsere Plattenfirma finanziell geholfen,
damit wir überhaupt leben konnten. Und dann waren da noch immer
viele Fanbriefe, die uns bewiesen, dass wir noch nicht vergessen
waren." So ermutigt probierten SAILOR einen neuen Start. Die
Manager-Angelegenheit wurde Rechtsanwälten übergeben, die jetzt
versuchen, SAILOR zu ihrem gesperrten Geld zu verhelfen.
Dann ging das übriggebliebene SAILOR-Trio ins Studio. "Die
neue Platte bedeutet für uns alles", bekennt Henry.
"Sie muss einfach erfolgreich sein, wenn wir unseren letzten
Mut nicht verlieren wollen. Zum Glück konnten wir erfahrene
Helfer gewinnen: Bruce Johnston, früher bei den Beach Boys und
jetzt ein erfolgreicher Solostar und Komponist, produzierte die
LP. Wir haben Bruce vor ein paar Monaten bei einer Fernsehshow in
Hamburg kennengelernt. Als Bruce im Juli nach London kam, brachte
er gleich noch einen anderen Profi mit: Curt Becher, der in
Amerika einst den Association zum Sound-Erfolg verhalf. Bruce und
Curt sind phantastisch - sie holen musikalische Sachen aus uns
heraus, die absolute Spitzenklasse sind. Für mich ist Curt ein
Sound-Genie!"
Das findet auch der berühmte Beatles-Produzent George Martin.
Der kam nämlich eines Tages vorbei, um seinen Kollegen mal
zuzusehen. Und half gleich mit vielen Tips und Tricks aus, um die
neue SAILOR-LP noch besser zu machen. "Das Album wird
voraussichtlich 'Checkpoint Charlie' heißen, den Titelsong
bringen wir gleichzeitig als Single heraus", verrät Henry.
"Zehn neue Songs sind auf der Platte. Zwei davon habe ich
gemeinsam mit Grant komponiert, und eines ist unser erstes
Instrumentalstück. Georg lässt uns also jetzt mehr Spielraum -
und das ist eigentlich ein Grund mehr, zu hoffen, dass Phil doch
noch zurückkommt. Aber egal - wenn die Platte ankommt, werden
wir auch wieder auf Tournee gehen. Möglichst im November, und
zwar nach Deutschland. Denn dort hatten wir bisher unseren
größten Erfolg."
Der Text unter den Fotos:
oben: Die fröhliche Studio-Atmosphäre täuscht: SAILOR stecken
in der größten Krise ihrer Karriere.
unten: Mit dieser Mannschaft wollen SAILOR ihren neuen Start
wagen: Von links: Bruce Johnston, Georg Kajanus, Henry Marsh,
Curt Becher, George Martin, ein Studiohelfer und Grant Serpell.
Vielen Dank an Thomas Henning (Berlin, Deutschland)!
Sammelalbum |