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1977



Aus "Popfoto"

SAILOR: Betrogen! Ausgebeutet! Pleite!

Seit "Stiletto Heels" und ihrer letzten Deutschlandtour im November 76 herrscht Schweigen um SAILOR. Um so überraschender kam dann die Meldung vom Ausstieg des Nickelodeon-Manns Phil Pickett. Was ist bei der Gruppe geschehen? POPFOTO traf SAILOR in London und erfuhr eine haarsträubende Geschichte.

Im CBS-Studio in der Londoner Whitfield Street sind die Türen seit Wochen für alle Außenstehenden hermetisch verschlossen. Dort, im Herzen von Soho, arbeiten SAILOR an ihrer vierten LP. Doch dass sie derzeit weder Fans noch Reporter sehen wollen, liegt nicht allein an den Plattenaufnahmen.
"Über uns sind in den letzten Monaten so viele Schocks hereingebrochen, dass wir selbst noch nicht damit fertig geworden sind", berichtet Henry Marsh in einer Aufnahmepause. "Deshalb fällt es uns schwer, heute schon offen über alles zu sprechen. Wir haben die größte Krise unserer Karriere erlebt - und noch ist sie nicht vorbei!"
Was ist geschehen? Henry: "Im letzten Herbst ging es uns großartig. Wir hatten drei Hits und sehr erfolgreiche Tourneen durch Europa und die USA hinter uns. Wir glaubten fest, dass wir es jetzt geschafft hatten. In Hochstimmung begannen wir im Januar mit den Proben für die nächste LP. Da gab es plötzlich Krach mit unseren Managern Robert Wace (zuvor Kinks) und Steve O'Rourke (Ex-Pink Floyd)."
"Es hatte zwischen uns und ihnen schon einige Zeit gekriselt. Aber noch nie war es so stark wie diesmal. Wir fühlten uns von ihnen ausgenutzt und ausgebeutet." Henry stockt: "Ich möchte nicht näher auf alle Probleme mit ihnen eingehen. Die Gründe sind zu kompliziert und auch schrecklich langweilig. Jedenfalls hatten wir endlich genug von ihnen und kündigten ihre Verträge."
Das aber hatte schwerwiegende Folgen. Denn so schnell ließen sich die Manager nicht von ihrer Haupteinnahmequelle SAILOR trennen. Henry: "Sie sperrten im Gegenzug blitzartig unsere sämtlichen Finanzen. Von einem Tag auf den anderen hatten wir plötzlich kein Geld mehr. Und so reich, dass uns das nichts ausmacht, ist keiner von SAILOR. An unseren Hits haben in erster Linie unsere alten Manager verdient. Georg, Grant und ich fahren nur Gebrauchtwagen, und auf unseren Häusern liegen noch Hypotheken."
Phil Pickett traf die Finanz-Sperre besonders hart. "Phil lebt in Cornwall (Südwestengland) und hatte plötzlich nicht mal genug Geld, um mit dem Zug nach London zu kommen", erklärt Henry. "Da drehte er total durch. Mit SAILOR sei es aus, meinte er. Egal, welches Unglück uns hätte zustoßen können - nie hätte ich es für möglich gehalten, dass Phil bei uns aussteigt. Aber er wollte einfach nicht mehr. Wir versuchten alles, um Phil zu halten - aber umsonst. Phil ging."
"Für mich war das der schwerste Schlag in meinem Leben. Wir haben uns musikalisch am Nickelodeon so blendend ergänzt!" Dass Phil irgendwann doch zu SAILOR zurückkehrt, glaubt Henry trotz aller Hoffnung nicht: "Wir versuchen zwar immer noch, Phil zur Rückkehr zu überreden. Aber er schreibt so phänomenale Songs, dass ihm bestimmt eine glänzende Solokarriere bevorsteht. CBS hat ihn bereits als Komponist unter Vertrag."
Pleite und ohne Phil saßen SAILOR nun da - aber das war noch lange nicht das Ende ihrer Unglücksserie. Henry: "Wir hatten einen australischen Roadie, der natürlich kein Gehalt mehr bekam. Also verkaufte dieser Schuft unsere ganze Verstärkeranlage, die wir noch nicht einmal fertig abbezahlt hatten. Mit dem Geld ist er sofort nach Australien verduftet. Als wir das erfuhren, glaubten wir tatsächlich, dass nun das Ende von SAILOR gekommen sei. Wir hatten alle Illusionen verloren."
Dass SAILOR trotzdem noch existiert, liegt an zwei Dingen: "Einmal hat uns unsere Plattenfirma finanziell geholfen, damit wir überhaupt leben konnten. Und dann waren da noch immer viele Fanbriefe, die uns bewiesen, dass wir noch nicht vergessen waren." So ermutigt probierten SAILOR einen neuen Start. Die Manager-Angelegenheit wurde Rechtsanwälten übergeben, die jetzt versuchen, SAILOR zu ihrem gesperrten Geld zu verhelfen.
Dann ging das übriggebliebene SAILOR-Trio ins Studio. "Die neue Platte bedeutet für uns alles", bekennt Henry. "Sie muss einfach erfolgreich sein, wenn wir unseren letzten Mut nicht verlieren wollen. Zum Glück konnten wir erfahrene Helfer gewinnen: Bruce Johnston, früher bei den Beach Boys und jetzt ein erfolgreicher Solostar und Komponist, produzierte die LP. Wir haben Bruce vor ein paar Monaten bei einer Fernsehshow in Hamburg kennengelernt. Als Bruce im Juli nach London kam, brachte er gleich noch einen anderen Profi mit: Curt Becher, der in Amerika einst den Association zum Sound-Erfolg verhalf. Bruce und Curt sind phantastisch - sie holen musikalische Sachen aus uns heraus, die absolute Spitzenklasse sind. Für mich ist Curt ein Sound-Genie!"
Das findet auch der berühmte Beatles-Produzent George Martin. Der kam nämlich eines Tages vorbei, um seinen Kollegen mal zuzusehen. Und half gleich mit vielen Tips und Tricks aus, um die neue SAILOR-LP noch besser zu machen. "Das Album wird voraussichtlich 'Checkpoint Charlie' heißen, den Titelsong bringen wir gleichzeitig als Single heraus", verrät Henry. "Zehn neue Songs sind auf der Platte. Zwei davon habe ich gemeinsam mit Grant komponiert, und eines ist unser erstes Instrumentalstück. Georg lässt uns also jetzt mehr Spielraum - und das ist eigentlich ein Grund mehr, zu hoffen, dass Phil doch noch zurückkommt. Aber egal - wenn die Platte ankommt, werden wir auch wieder auf Tournee gehen. Möglichst im November, und zwar nach Deutschland. Denn dort hatten wir bisher unseren größten Erfolg."

Der Text unter den Fotos:
oben: Die fröhliche Studio-Atmosphäre täuscht: SAILOR stecken in der größten Krise ihrer Karriere.
unten: Mit dieser Mannschaft wollen SAILOR ihren neuen Start wagen: Von links: Bruce Johnston, Georg Kajanus, Henry Marsh, Curt Becher, George Martin, ein Studiohelfer und Grant Serpell.

Vielen Dank an Thomas Henning (Berlin, Deutschland)!


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