Sailor

August 1974

LP: Epic EPC 80337
CD: Sony Music 4694452

Georg Kajanus: 12-saitige Gitarren und Lead-Gesang
Henry Marsh: Nickelodeon, Akkordeon, Piano und Gesang
Phil Pickett: Bass Nickelodeon, Piano und Gesang
Grant Serpell: Schlagzeug, Percussion und Gesang

Traffic Jam
Blue Desert
Sailor
The Girls Of Amsterdam
The Street
Let's Go To Town
Josephine Baker
Blame It On The Soft Spot
Open Up The Door
Sailor's Night On The Town


Das deutsche Cover dieses Albums:

Das USA Cover dieses Albums:


Die USA Randbemerkungen des 1974er "Sailor" Albums:

In 1936 hätte "Come to the Cabaret" eine Einladung ins Le Matelot sein können, ein kleines Café in Paris berühmt für seine Hausband und literarische Gestirne die das kosmopolitische Caféhaus oft besuchten. Des Nachts konnte man dort so kreative Talente wie Josephine Baker, Janet Flanners, Chagall oder Fitzgerald dort sehen, wie sie sich unterhielten, prahlten oder sangen an dem Ort, den Hemingway diese "that contagious box of music" nannte.
Während dem Zweiten Weltkrieg schlossen sich die Türen des Le Matelot für viele Jahre. Der Besitzer, M. Faux, ein französischer Held, wurde von den Nazis gefesselt und gedemütigt vor seinem Café zwölf Stunden lang bis zum Morgen stehen gelassen, um auf seine Hinrichtung zu warten. Doch statt der Deutschen kam zu Tagesanbruch ein AWOL amerikanischer Navy Offizier und befreite den Besitzer. Als M. Faux nach seinem Namen fragte, antworte er: "Nenn mich Sailor, und ich seh' dich mal wieder irgendwo." Der Besitzer sah ihn nie wieder, aber als Andenken an ihn taufte er die Hausband SAILOR. Viele verschiedene Mitglieder von SAILOR kamen und gingen und gebaren den Unterschied, der zu einem französischen musikalischen Erbe beisteuerte.
In 1971 schloss das Le Matelot, Überlebender einer dreieinhalb Jahrzehnte andauernden lebhaften Tradition, zum letzten mal seine Türen. Feuer tat das was der Krieg nicht schafft hatte - zerstörte einen musikalischen und kulturellen Grenzstein. Die Band, SAILOR, verschwand bis zum Sommer 1973, als Steve Morris, Sohn des erfolgreichen Musikverlegers Edwin Morris, Phil Pickett bei Session Arbeiten entdeckte. Steve und Phil ließen sich auf eine Odyssee ein, und durchsuchten die Kontinente kreuz und quer nach anderen ehemaligen Mitgliedern von SAILOR. Nach einer erschöpfenden Suche fanden sie Henry Marsh, Grant Serpell und Georg Kajanus und reformierten die moderne Wiedergeburt der vier Originale in weißen Anzügen. Henry, ein gebildeter Keyboarder und Akkordeonist, war seit 1970 bei SAILOR gewesen. Grant, der Schlagzeuger und Träumer, hatte Fachwissen in Mathematik und als Ingenieur und war stark von seinem Vater, einem Professor für Musik an der Universität von Paris, beeinflusst. Unter der Leitung von Georg, Sohn eines russischen Prinzen und "ein Mann, der es ablehnt, seine Interessen nur auf einen bestimmten Zweig zu beschränken," entwarfen sie Zwillings-Nickelodeons mit Synthesizern in ihrem Mechanismus und kreierten einen frischen Musikstil und Klang. In diesem, dem ersten Album der Gruppe, sprechen maritime Minnesänger redseelig von Ärger und Freuden im Leben eines Reisenden. SAILOR sind ein frecher und wilder Ausflug in erstklassige zeitgenössische Musik. Hört Euch ihre kompatiblen Harmonien an und absorbiert ihre Jedes-Wort-malt-ein-Bild Texte. Ihre Auftritte sind wahrlich ein bewegendes Festmahl.
Wenn Ihr gerne neue Dinge entdeckt, hört Euch SAILOR an. Jedes Stück ist aus dem Leben gegriffen. Es ist eine SAILOR's night on the town und jede Menge Spaß. N'est-ce pas?
-- Diane Hyatt.

Kritik aus dem Magazin "Sounds", Ausgabe 2/1975:
Jetzt schreibe auch ich mal über eine Platte, die mir von der CBS geschickt worden ist. Sie heißt Sailor und stammt von einer englischen Gruppe, die sich ebenso nennt und lange in Paris gelebt und gearbeitet hat, wo sie, bis es abbrannte, im Café "Le Matelot" (was natürlich SAILOR heißt) aufgetreten ist. Und die zehn Songs haben es, wen wundert's, ebenfalls sämtlich mehr oder weniger mit Seemännern zu tun.
Abgesehen vom ersten, der es nur auf dem Umweg über eine verdrehte Zivilisationskritik nach Art der Kinks - wie diese Platte überhaupt mich häufig an die Kinks, wenn sie ganz easy, ganz überlegen spielen, erinnert - mit Seemännern zu tun hat. Das geht, husch, durch ein paar hundert Jahre Neuzeit, dann kommt das Auto, immer mehr Autos, Autos für jedermann und jeden Zweck, und wohin wird das führen? Richtig - in eine einzige riesige weltweite Verkehrsstockung. Und dann? Dann muss man eben aufs Meer ausweichen. So habe ich mir das zurechtgelegt.
Im nächsten Stück beschwert sich dann schon einer im Stil von Heimweh, oh je, tut das weh, über die blaue Wüste, wo der Hafen die einzige Oase weit und breit ist. Doch wenn er dort, Track Three, die Füße auf den festen Boden setzt, dann wird der Sailor zum swinging Sailor, damdidamdidam, es geht los, Leute, damdidamdidam: let the booze flow, let yourself go.
Das könnte also beispielsweise in Amsterdam sein, wo die Mädchen wie hübsche Puppen aussehen und in Schaufenstern sitzen. Die "Girls Of Amsterdam" sind in der Oase sozusagen die Wasserstelle. Die Musik klingt, wie sich das gehört, reichlich melodramatisch. Nuttenromantik. Wer liebt schon einen Seemann?
Und in dieser Art geht es weiter. Action, die Straße, das Vergnügungsviertel, Mädchen - und endlich mal niemand, der einen anbrüllt, was man zu tun und zu lassen hat. Irgendwann ein Abstecher nach Paris, Follies Bergere: long live Josephine Baker, das wandelnde Sex-Versprechen, nostalgisch verbrämt. Aber die Mädchen auf der Straße sind Wirklichkeit, komm schon, Mama ist weit weg, swinging Sailor zieht es zwischen die Laken.
Aber dann, am nächsten Morgen, will er raus, will er weiter. Hat da wer von Liebe gesprochen, von immer und ewig? Vierzig Dollar, wenn du mir jetzt endlich die Tür aufmachst, die Tür nach draußen. Und zuletzt erklärt er's ihr: eine Nacht für den Seemann, das ist euer Geschäft: er zahlt, darum seid ein bisschen nett zu ihm.
Das Leben ist so eine Art Jahrmarkt, dies die Botschaft dieser Platte, die ich nicht, bloß weil ich sie momentan ganz witzig finde, zum musikalischen Ereignis des Jahres hochjubeln will. Dies sind Songs, Texte mit Musik, meinetwegen Chansons, Kabarett, Kleinkunst, witzige Texte mit dazu passender Musik. Jedenfalls nichts für Leute, die von einer Schallplatte Musik und nur Musik erwarten.
Von Helmut Salzinger


 

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